Freitag, 15. Oktober 2010

Politische Pathologie - Heute: Piraten ADHS

Kleine Ausreißer gibts immer, aber im Grunde bin ich der Meinung, daß wir Piraten zur Zeit tatsächlich mehr fokussieren. Ich denke, die kommende Landtagswahl ist dabei ein großer Aspekt dieser Veränderung.

Unser Hauptproblem ist, daß wir unsere wenigen Kräfte so oft auf tausende kleine Aufgaben verteilen. Es stimmt schon, es gibt unglaublich viele Baustellen. In der Region, im Land, in der Republik, in Europa, auf der ganzen Welt. ACTA, INDECT, Internetsperren, Wikileaks, Repressionen, marodierende Bürgerrechte, Staatsverschuldung, Stuttgart 21, das sind nur die großen, die mir spontan durch den Kopf schießen.

Doch bewegen können wir nur was, wenn genug an einer Aufgabe gleichzeitig arbeiten. Nicht zuviele, klar, aber jedes Projekt hat seine optimale Manpower, die es braucht. Und etwas, was manche Piraten, meist die mit IT Background, nicht verstehen ist: Piraten sind keine Prozesse wie in einem PC. Ich kann nicht einfach Ressourcen von X nach Y nehmen und Z anders priorisieren. Zu einem Piraten kann ich nicht so wie zu einem Prozessor sagen: "Kümmer Dich jetzt um diese 20 Prozesse, wechsle alle paar Zeitabschnitte gleichmäßig unter ihnen durch und bearbeite sie gleichwertig." Menschen haben Interessen und Desinteressen. Menschen müssen sich zwischen Interessen entscheiden. Menschen haben Enthusiasmus und Eifer und Motivation. Und nur in den allerwenigsten Fällen ist es überhaupt möglich, geschweige denn sinnvoll, diese Energie zu streuen.

Im Ländle, wie wir so schön sagen, haben wir gerade etwas, was die Emotionen der Menschen stark fokussiert: Stuttgart 21. Hier gehen die Menschen auf die Straße, sind laut, kämpfen friedlich und leiden gewaltlos. Natürlich und dankenswerterweise gibt es noch viele andere Piraten, die die anderen Themen nicht aus dem Blick lassen, und sich mehr für ein anderes Thema "begeistern" können. An diese Piraten möchte ich hier ein kleines Appell richten:

Bitte reißt die Piraten, die sich gerade auf etwas anderes konzentrieren als auf Euer Thema, nicht gewaltsam aus ihrem Lauf heraus!

Ich habe die letzten Tage bezüglich den Anti-Atom- und Stuttgart-21-Demos häufig lesen müssen: "Klasse, wie ihr Euch für das engagiert und demonstriert! Jetzt macht das selbe auch für X, Y und Z!"

Das kann meiner Meinung nach nur 2 mögliche Effekte haben:

  1. Die Menschen lassen sich nicht aus ihrem Lauf ablenken, bei entsprechender Penetranz nehmen sie die Störung als nervig und unhöflich wahr.
  2. Die Menschen lassen sich ablenken, dann nützt ihnen das Wissen, das sie für die aktuelle Aktion angesammelt haben nichts mehr, sie müssen sich in ein neues Thema einarbeiten, müssen erstmal sehen, ob sie mit dem Thema was anfangen können, ob sie sich genug ereifern können, um die entsprechende Energie aufzubringen und am Ende müssen sie das mit 3-4 neuen Themen gleichzeitig machen.

In jedem Fall ist sowas ein Verlust. Im zweiten Fall sogar ein viel größerer, die ganze Energie wird über den Acker verstreut und versickert nutzlos im Boden. Doch ich sehe nirgends die Option, daß signifikant viele Menschen von 100 auf 0 und in einem neuen Thema von 0 auf 100 können. So funktionieren Menschen einfach nicht.

Führt Euch immer vor Augen: Wenn ihr sowas fordert, dann fordert ihr das ja von denen, die bereits geben. So viele da auch in Stuttgart stehen oder gegen Atomkraft demonstrieren, die weitaus größere Menge an Piraten hat noch nicht das Thema gefunden, das sie so richtig 100% anspricht. Wenn ihr ein Thema kennt, das Euch am Herzen liegt, dann nehmt Euch ein Beispiel an Stephan Urbach zum Thema ACTA: Bleibt am Ball, macht Eure Arbeit zu dem Thema transparent, macht Werbung für das Thema, macht es den Menschen leicht, sich einen Überblick zu verschaffen, macht es ihnen leicht zu sehen, wo sie anpacken können. Holt Euch die Leute, die sich jetzt noch nicht engagieren, denn die nützen Eurem Thema am meisten. Sie haben die Zeit und die freien Ressourcen, und wenn ihnen das Thema liegt, dann haben sie die Motivation und das Engagement, an Eurem Seil mitzuziehen.

Aber bremst niemals die Leute, die gerade mitten im Kampf sind. Genau wie ihr mit Euren Themen brauchen auch diese Menschen die nötige Anerkennung, Lob und Dank - und zwar ohne jedes "Aber".

Danke!